Gelungene Sensorische Integration ist wie das gut gebaute Fundament eines Hauses, auf dem sich das gesamte Sein eines Menschen aufbaut. Ist das Fundament schwach, ist das Bauen des restlichen Hauses ungleich schwieriger.

Welche SINNE gibt es?

In meinen SI-Bewegungsstunden arbeite ich nach dem „Wahrnehmungshaus“ nach Ute Junge. Die Sinne an der Basis unseres Wahrnehmungshauses können in folgende Gruppen unterteilt werden:

Nahsinne oder Basissinne
  • Haut: die Hülle unseres Körpers mit der wir berühren und berührt werden, das Tasten => Taktiles System, Berührungs-, Erkundungs-, Temperatur-, und Schmerzwahrnehmung. Es besteht ein starker Zusammenhang zwischen der Haut und dem Gleichgewicht. Hat ein Mensch Probleme mit dem Gleichgewicht, ist das oft verbunden mit Problemen der Haut.
  • Gleichgewichtssystem: die Sinneszellen für das Gleichgewicht liegen im Innenohr und haben direkte Verbindung mit unseren Augen und dem Nacken. Das Gleichgewicht brauchen wir für die Auseinandersetzung mit der Schwerkraft, unsere Aufrichtung, die Orientierung im Raum und die Wahrnehmung von Bewegung und Drehung => vestibuläres System
  • die Wahrnehmung des eigenen Körpers (Eigenwahrnehmung) also wie stehe ich, wie weit muss ich mich beugen, um unter einem Hindernis durchzukommen, wie weit weg muss ich an meinem Gegenüber vorbei gehen, um nicht anzustoßen, was muss ich tun, um auf einen Baum zu klettern, wie viel Spannung brauche ich in meinem Körper, um mich auf einer Schaukel zu halten, wie viel Spannung habe ich schon aufgebaut => kinästhetisches System, propriozeptives System, das System der Tiefenwahrnehmung

Förderbedarf in den drei Basissinnen führt zumeist zu einer Über- bzw. Unterempfindlichkeit bei der Reizaufnahme, bzw. der Reizverarbeitung = zweckmäßige Reaktion (siehe oben).

Beispiel:

Unterempfindlichkeit im Gleichgewichtssystem => ein Kind, das einen scheinbar unstillbaren Hunger auf Schaukeln und Drehen hat, am Spielplatz nicht genug vom Karussell bekommt und scheinbar keine Pause braucht

Überempfindlichkeit im Gleichgewichtssystem => ein Kind, das drehen und schaukeln gar nicht mag, sich gerne an Dingen festhält

In meinen SI-Stunden „spielen“ die Kinder am meisten mit ihren Basissinnen.

Fernsinne
  • Nase, das Riechen => olfaktorisches System
  • Ohren, das Hören => auditives System
  • Augen, das Sehen => visuelles System
  • Mund, Zunge, das Schmecken => gustatorisches System

Die Fernsinne sind die Sinne, die ihre Reize aus der Ferne empfangen und ihre Arbeit erst später in der Entwicklung aufnehmen.

Trotz der Gliederung der Sinne in Nah- und Fernsinne, können die Sinne ihre Arbeit niemals getrennt voneinander leisten und können auch nicht getrennt voneinander gefördert werden. Fördert man einen Sinn, so fördert man alle Sinne! Bei der Förderung können einzelne Sinnessysteme lediglich schwerpunktmäßig gefördert werden, wobei die anderen Sinne dabei möglichst geringe Herausforderungen zu meistern haben.

Wie entwickelt sich SI im Menschen?

Sensorische Integration beginnt im Mutterleib. Ungeborene schweben im Fruchtwasser, beugen und strecken sich, bewegen ihren Körper in der Schwerelosigkeit. Sie saugen an ihren Fingern und ab dem 3. Monat, wenn die Babys groß genug sind, um die Gebärmutterwand zu berühren, spüren sie das erste Mal Widerstand und Begrenzung und damit ihre Körpergrenzen. Jeane Ayres, die Begründerin der Sensorischen Integration (siehe „Bausteine der kindlichen Entwicklung“, A. Jeane Ayres, Springer Verlag), geht davon aus, dass die drei Basissinne (siehe oben) ihre Arbeit im Uterus als erste aufnehmen.

Nach der Geburt

Nach der Geburt müssen die Babys ihren Körper neu entdecken, haben anfangs wenig Kontrolle darüber. Sie müssen mit der Schwerkraft zurechtkommen, die ja erst nach der Geburt zu spüren ist. Mit dem Bewegen von Armen und Beinen, anfangs unbewusst, dann mit immer mehr Kontrolle, lernt unser Gehirn jeden Tag dazu, speichert Erfahrungen ab. Muskelkontrolle, die Kontrolle über die Glieder und den Rumpf, die irgendwann zum Rollen oder Krabbeln führen, sind eine gewaltige Leistung des Gehirns und ein Beispiel für gelungene sensorische Integration. Um zu krabbeln oder zu robben müssen die Kinder schon einiges an Erfahrungen gemacht haben.

Das Drehen von der Rücken- in die Bauchlage, das Aufrichten des Rumpfes, das Hochziehen des Beckens, um in den Vierfüßlerstand zu kommen und dann weiter in die Krabbelbewegung, die ein differenziertes Einsetzen von Armen und Beinen erfordert, werden Schritt für Schritt ausprobiert und durch Üben immer weiter verfeinert.

Mit ca. einem Jahr

Mit ungefähr einem Jahr kommt die Aufrichtung gegen die Schwerkraft, der Umstieg von vier auf zwei Stützpunkte, das Gehen. Eine unglaubliche Anforderung an das im Ohr sitzende Gleichgewichtssystem und die Wahrnehmung des eigenen Körpers (Eigenwahrnehmung). Wie bewege ich meine Beine am besten, damit ich gut und sicher gehen kann? Was machen meine Arme?

Bis zum 7. Lebensjahr

Die Phase bis zum 7. Lebensjahr eines Kindes wird als Sensomotorische Phase bezeichnet, da vorrangig eher muskulär und motorisch angepasst Reaktionen geübt und erworben werden, und weniger geistige oder kognitive.

Beispiel:

Ein Kind, das einen Großteil seiner Konzentration darauf richten muss ruhig zu sitzen, weil es Schwierigkeiten hat sein Gleichgewicht zu halten, hat keine (oder nur sehr eingeschränkte) Möglichkeiten, sich noch zusätzlich auf Buchstaben oder Zahlen zu konzentrieren, die es in sein Heft schreiben soll.

Wahrnehmungshaus nach Ute Junge
Wahrnehmungshaus nach Ute Junge